LESELUST

Auf dieser Seite möchten wir Ihnen "Lust aufs Lesen" machen...
Die Mitglieder der Schreibwerkstatt stellen Ihnen hier in loser Folge Bücher vor, von denen sie glauben, dass sich das Lesen lohnt.
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Ein Klassiker...

Herrmann und Dorothea – Epos in neun Gesängen von Johann Wolfgang Goethe

Getreu folgsam einer Intention des Leiters der Schreibwerkstatt der VHS - Merchweiler mache ich mich nunmehr an die Arbeit, oder an das Vergnügen.
Ein Vergnügen wird's sicher, denn ich habe mir einen Autor ausgewählt, der nicht widersprechen kann. Das ist eine Rache für die Quälerei die mir angetan wurde vor nunmehr fast siebzig Jahren in der Schule. Als erste Lektüre überhaupt lasen wir im Deutschunterricht Hermann und Dorothea vom jungen Goethe. Damals war's ein mühsames Unterfangen von lautem Vorlesen und Nacherzählungen oder Aufsätzen. Dazu kam noch die langweilige Handlung und die altertümliche Sprache - für einen Dreizehnjährigen, der den Krieg überstanden hatte und nur leben wollte. Das Studieren altertümlicher Texte war nicht meine Sache.
Bevor ich aber die Absicht über den Dichterfürsten Goethe herzuziehen Realität werden ließ, habe ich mir das schmale Bändchen heraus gekramt und mich darin vertieft. Und siehe da, eine Verwandlung ging in mir vor. Was der Goethe dort schrieb vor zweihundert Jahren, ist aus heutiger Sicht höchst aktuell. Es war immer auf der Tagesordnung, nur habe ich es im meinem Jugenddasein nicht erkannt.
Er behandelt dort das Thema der politischen Flüchtlinge, genauer gesagt, der Religionsflüchtigen. Wie sie ihre Heimat aus religiösen Gründen verlassen müssen, wie sie die Schwierigkeiten der Reise - dort ein Hochwasser führender Fluß, hier ein ganzes Meer - überwanden. Wie die Integration sich gestaltete. Einerseits Ablehnung, anderseits Akzeptanz bis zum Liebespaar, was der Pfarrherr nicht verstehen wollte. Die Eltern Herrmanns konnten es zunächst nicht glauben, dass ihr Sohn einer Hergelaufenen den Hof machte, aber die Dorothea konnte sie mit ihrem Wesen überzeugen.
Ich weiß nicht, woher der Goethe den Anreiz hatte, vielleicht von der Hugottenflucht aus Frankreich, oder von den Schlesischen Kriegen, aber bestimmt von der Großmannsucht der preußischen Könige. Auch wird die Revolution in Frankreich ihren Teil dazu beigetragen haben.
Es ist ein Gedicht von Großmut und Humanität, das Goethe uns hier erzählt, und ich bedauere, dass ich damals als Schüler noch nicht die Einsicht in diese Zusammenhänge hatte. Ich hätte es wissen können, denn meine Tante war Lehrerin im Kreis Saarlautern und zweimal evakuiert.
Noch eins zeigt mir das Drama: den Willen zum Wiederaufstehen der Menschen. Ich denke dabei an den Dreißigjährigen Krieg, an den Holocaust und auch an das zerbombte Deutschland, das es wieder dank seinem Fleiß und seiner Innovationskraft mit an die Spitze geschafft - im wahrsten Sinne des Wortes geschafft - hat. Da kann ich nur mit Schiller singen: „Und neues Leben blüht aus den Ruinen."
Mein Vergnügen habe ich bekommen, nur auf andere Art. Seltsam, wie sich die Bilder gleichen.

Willi Träm

Buchausgaben:    Reclam UB Nr.55 (3,60€)       Edition Holzinger Taschenbuch (3,54 €)     Hofenberg geb.Sonderausgabe (16,80 €)